Mont Ventoux – der kahle König im Redaktionscheck

ein-fahrrad-das-neben-einem-schild-am-strassenrand-geparkt-ist-ZZctcvaMOzQ
Fahrrad am Straßenrand neben einem Verkehrsschild in Mont Ventoux. Foto von Alain ROUILLER.

Mont Ventoux: Der kahle König im Redaktionscheck – Schweiß, Mythen und absolute Ehrfurcht. Wer den Giganten der Provence bezwingt, fährt nicht einfach einen Berg, sondern schreibt ein eigenes Kapitel Radsportgeschichte. Wir von 11bar haben den Mont Ventoux auf Asphalt, Schotter und im Kopf zerlegt. Hier kommt unser kompromisslos ehrlicher Deepdive zum berühmtesten Anstieg Frankreichs.

  • Drei legendäre Auffahrten – Bédoin, Malaucène und Sault – bieten individuelle Herausforderungen
  • Karge Mondlandschaft ab Chalet Reynard sorgt für ikonische Kulisse und extreme Bedingungen
  • Berüchtigte Windböen und Wetterumschwünge machen jede Fahrt unberechenbar
  • Historische Tour de France-Etappen und Tragödien prägen den Mythos des Mont Ventoux
  • Für Einsteiger machbar, für Profis eine Bühne der Selbstdarstellung und des Leidens
  • Optimale Vorbereitung: Übersetzung, Verpflegung, Timing und Respekt vor dem Berg
  • Gravel, Road und sogar E-Bike – Ventoux ist für alle Radgattungen eine Offenbarung
  • Unsere Top-Tipps zu Ausrüstung, Taktik und No-Gos am Ventoux

Die drei Auffahrten – ein Berg, drei Gesichter

Der Mont Ventoux ist kein gewöhnlicher Anstieg – er ist ein dreiköpfiges Biest, das jedem Radfahrer eine andere Geschichte erzählt. Die bekannteste und zugleich härteste Auffahrt ist die von Bédoin. Hier beginnt der Spaß mit einem scheinheiligen Warm-up, bevor ab Saint-Estève die Rampe gnadenlos anzieht und bis Chalet Reynard kaum unter neun Prozent Gefälle abfällt. Wer von Bédoin startet, bekommt die volle Breitseite Ventoux-Feeling: dichter Wald, stickige Hitze, wenig Aussicht und ein gnadenloser Rhythmus, der keine Gnade kennt. Diese Auffahrt ist nichts für Träumer, sondern für Leute, die wissen, wie sich echtes Leiden anfühlt.

Malaucène, die Nordseite, ist technisch nicht weniger anspruchsvoll, aber weniger einheitlich. Hier wechseln steile Rampen mit flacheren Passagen, und der Asphalt ist oft etwas rauer. Wer dort startet, bekommt mehr Erholungspausen, aber auch mehr Abwechslung – ideal für Fahrer, die ihre Kräfte gerne einteilen und mit Krafteinteilung spielen. Doch Vorsicht: Die flacheren Stücke verführen schnell dazu, zu viel Druck zu machen, was sich im letzten, offenen Teil des Anstiegs bitter rächen kann. Malaucène ist der Ventoux für Taktiker und Spalter, die mit Köpfchen fahren.

Die Sault-Auffahrt schließlich ist die vermeintlich sanfteste Option – doch das ist nur die halbe Wahrheit. Zwar sind die ersten Kilometer durch die Lavendelfelder und hügeligen Wälder angenehm, doch spätestens ab dem Zusammenschluss mit der Bédoin-Route bei Chalet Reynard trifft einen der Ventoux mit voller Wucht. Die letzten sechs Kilometer durch die Mondlandschaft sind für alle gleich: steil, windig, unbarmherzig. Sault ist der Einstieg für Genießer und Einsteiger, aber am Ende leiden hier alle. Wer alle drei Auffahrten an einem Tag schafft – die sogenannte „Cinglés du Ventoux“-Challenge – darf sich zu Recht für verrückt halten.

Die Mondlandschaft: Mythos und Realität

Ab Chalet Reynard verwandelt sich der Mont Ventoux in eine surreale Szenerie: Keine Bäume mehr, nur noch weiß-graue Kalksteine, die wie Schnee im Sonnenlicht glitzern, und das berühmte Wetterradar auf der Spitze, das wie ein Leuchtturm der Leiden wirkt. In dieser Mondlandschaft ist nichts mehr normal. Der Wind pfeift erbarmungslos, die Sonne brennt ungeschützt auf den Asphalt und der Blick schweift kilometerweit über die Provence. Wer hier fährt, bekommt eine Ahnung davon, warum der Ventoux als „heiliger Berg“ des Radsports gilt – hier werden Legenden geboren und Träume begraben.

Die letzten sechs Kilometer sind eine psychische und physische Herausforderung: Der Wind kann binnen Sekunden von lauem Lüftchen zu Orkanböen anschwellen, die Temperaturunterschiede zwischen Start und Gipfel betragen oft mehr als 15 Grad. Jeder Tritt in die Pedale wird mit stechenden Muskeln und pochendem Herzen bezahlt. Wer sich hier übernimmt, wird erbarmungslos bestraft – der Mont Ventoux ist ein Richter, der keine Gnade kennt. Gerade in der Hochsaison tummeln sich auf den finalen Kehren ambitionierte Amateure, Profis auf Testfahrt und E-Biker gleichermaßen, doch leiden tun sie alle.

Die Mondlandschaft ist aber nicht nur ein Test für Körper und Geist, sondern auch für das Material. Reifen, Bremsen, Übersetzung – alles wird hier auf die Probe gestellt. Der offene Asphalt ist im Sommer oft glühend heiß, im Herbst oder Frühjahr droht plötzliches Schneetreiben. Wer hier oben ankommt, der hat nicht nur einen Anstieg geschafft, sondern eine echte Bewährungsprobe bestanden. Die Selfies am Gipfelschild sind kein reiner Social-Media-Quatsch, sondern ein Beleg für die eigene Willenskraft – und vielleicht auch einen kleinen Schuss Wahnsinn.

Tour de France, Tragödien und der Radsport-Mythos

Der Mont Ventoux ist nicht nur ein Berg, sondern eine Bühne, auf der sich Dramen, Triumphe und Tragödien abspielen. Seit 1951 ist der kahle König regelmäßig Etappenziel oder Durchgangsstation der Tour de France. Einprägsam geblieben sind Szenen wie der legendäre Solo-Sieg von Marco Pantani 2000 oder Chris Froomes unfassbarer Lauf zu Fuß nach einem Sturz 2016 – der Ventoux macht aus jeder Fahrt eine Geschichte, die im Gedächtnis bleibt. Doch nicht jeder hat den Gipfel lebend erreicht: Die Tragödie um Tom Simpson 1967, der kurz vor dem Ziel kollabierte, ist Mahnung und Mythos zugleich.

Auch abseits der Tour ist der Ventoux ein Magnet für Amateure und Profis. Wer sich hier misst, misst sich mit den Geistern der Vergangenheit. Der Berg verlangt Respekt, nicht nur wegen seiner Länge und Steilheit, sondern wegen seiner Geschichte. Viele Fahrer berichten von einem besonderen Gefühl, wenn sie an Simpsons Gedenkstein vorbeifahren oder die letzten Kehren hinauf zum Sendemast nehmen. Es ist, als ob man Teil einer langen Kette von Leidensgenossen wird, die alle dasselbe Ziel hatten: den Gipfel zu erreichen und dem Ventoux für einen Moment die Stirn zu bieten.

Doch der Mythos Ventoux lebt nicht nur von großen Namen und Tour-Etappen. Jeder, der diesen Berg bezwingt, schreibt seine eigene kleine Heldengeschichte. Es ist ein Ort, an dem Radsport zur Religion wird, an dem Leiden und Triumph Hand in Hand gehen. Die Geschichten, die der kahle König schreibt, sind ehrlich, brutal und wunderschön zugleich. Sie machen den Ventoux zu mehr als einem Berg – sie machen ihn zu einer Institution.

Vorbereitung, Ausrüstung und die richtige Taktik

Wer sich an den Mont Ventoux wagt, braucht mehr als nur starke Beine. Die richtige Vorbereitung ist entscheidend, sonst wird aus dem Traum schnell ein Alptraum. Die Wahl der Übersetzung ist ein Schlüsselfaktor: Wer sich mit 39/25 oder gar 36/28 an den Bédoin-Anstieg wagt, riskiert Krämpfe und Frust – moderne Kompaktkurbeln mit 34/32 oder 34/34 sind hier kein Zeichen von Schwäche, sondern von Intelligenz. Auch die Reifenwahl will gut überlegt sein: Der Asphalt ist rau, und auf den Abfahrten braucht es Grip und Sicherheit. Lightweight-Fetischisten sollten bedenken, dass Gewicht am Ventoux zählt – aber nie auf Kosten der Zuverlässigkeit.

Verpflegung ist ein weiteres Thema, das gerne unterschätzt wird. Die Auffahrt ist lang, und oben auf dem Gipfel wartet nur ein windiger Kiosk. Zwei große Flaschen, Riegel oder Gels und ein paar Salztabletten sind Pflicht. Wer in der Mittagshitze startet, riskiert einen Hitzschlag – die beste Zeit für den Ventoux ist früh morgens oder am späten Nachmittag. Auch Wind- und Regenjacke gehören ins Trikot, denn das Wetter schlägt hier oben im Minutentakt um. Wer sich auf den Mythos einlässt, sollte ihn auch mit Respekt behandeln – das ist keine Sonntagsrunde, sondern ein echtes Abenteuer.

Die Taktik entscheidet oft über Erfolg oder Scheitern. Wer zu schnell startet, zahlt spätestens in der Mondlandschaft den vollen Preis. Gleichmäßiges Pacing, regelmäßige Verpflegung und ein wachsames Auge auf Wetter und Körper sind Pflicht. Wer die Auffahrt zu einem Ego-Trip macht, erlebt am Ventoux oft sein blaues Wunder. Unsere Empfehlung: Fahrt mit Köpfchen, genießt die Aussicht, aber unterschätzt niemals den Berg. Der kahle König wartet nur darauf, euch eure Grenzen zu zeigen – aber genau das macht ihn so unwiderstehlich.

Fazit: Mont Ventoux – Prüfstein, Mythos und pure Leidenschaft

Der Mont Ventoux ist mehr als ein Anstieg. Er ist ein Denkmal des Radsports, ein Prüfstein der Leidenschaft und der ultimative Gegner für jeden, der wissen will, was in ihm steckt. Ob als Roadie, Gravelfan oder E-Biker – der kahle König fordert alle heraus und belohnt die Mutigen mit einer Aussicht, die man nie vergisst. Die drei Auffahrten bieten für jeden Geschmack die passende Herausforderung, doch gemeinsam haben sie eines: Ab Chalet Reynard wird aus Radfahren ein Kampf – gegen den Berg, gegen den Wind und gegen sich selbst.

Wer den Ventoux unterschätzt, wird bitter bestraft. Wer ihn mit Respekt angeht, erlebt eines der intensivsten Abenteuer, das der Radsport zu bieten hat. Die Kombination aus Geschichte, Landschaft und körperlicher Herausforderung macht den Mont Ventoux zu einem unverzichtbaren Ziel auf der Bucket List jedes ambitionierten Fahrers. Und wer oben ankommt, weiß: Man ist nicht einfach einen Berg gefahren – man hat sich selbst neu kennengelernt.

Unser Redaktionsfazit ist klar: Der Mont Ventoux ist Pflichtprogramm für alle, die den Radsport ernst nehmen. Er verlangt alles – und gibt noch mehr zurück. Vive le Ventoux!

Pro:

  • Einzigartige, ikonische Mondlandschaft mit legendärem Gipfel
  • Drei verschiedene Auffahrten für jedes Level und jede Taktik
  • Unsterblicher Mythos und Tour de France-Historie
  • Extremes Naturerlebnis: Wind, Wetter, Weitblick
  • Herausforderung für Körper, Geist und Material
  • Motivierendes Ziel – auch für Gruppen oder Challenges

Contra:

  • Unberechenbares Wetter mit plötzlichen Temperaturstürzen
  • Starker Verkehr und Massenansturm in der Hochsaison
  • Hoher Schwierigkeitsgrad – nicht für untrainierte Fahrer geeignet
  • Gefährliche Abfahrten bei Wind und Regen
Total
0
Shares
Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Related Posts